Die Rede über Gemeingüter hat das grundsätzliche Problem, dass niemand definieren kann, was Gemeingüter sind und was nicht, ohne dabei das Gemeingut des freien Denkens und damit Definierens zu verletzen.
Seit der Nobelpreisvergabe an Elinor Ostrom wird im deutschsprachigen Raum öfters über Gemeingüter gesprochen. Der sperrige Begriff behindert bisher allerdings größere Öffentlichkeit. Eine Annäherung: Das, was man ohnehin bisher vertritt, als Gemeingüter-Diskurs neu interpretieren. Das schafft auf jeden Fall awareness, Aufmerksamkeit, und wird zu dem Punkt führen, wo eine Gemeingüter-Debatte beginnen könnte.
In dieser Frühphase des talk commons legte die GLS-Bank aus Bochum im Rahmen ihrer Werbekampagne eine Farbbroschüre in den ICE aus. Unter dem Titel Gemeingüter neu entdecken berichtet die Bank aus ihrer Förder- und Finanzierungspraxis.
Die GLS Bank finanziert Saatgutfonds
Im Vorwort führt die Chefredakteurin Katrin Schaefer folgende Gemeingüter auf: Wasser, Boden, Saatgut, Atmosphäre und Wissen. Dies ist durchaus zeitgemäß, denn der Kampf gegen Patente jeder Art, insbesondere auf Pflanzen und Tiere, ist ein Kernanliegen der grünen Agrarbewegung. Dass allerdings lizenzfreie Open Source Software auch zu den Gemeingütern zählen soll, weist darauf hin, dass es hier mehr um Verteilungsgerechtigkeit, als um Gemeingüter geht. Anders gesagt: Die Klugen und Cleveren (Patente und Lizenzen), die Reichen und Mächtigen (Grundeigentum und Kapital) sollen ihre Werte mit der Gemeinschaft teilen.
Dazu müssen diese Werte aber erst einmal geschaffen werden. Natürliche Gemeingüter wie Atmosphäre, Boden und Wasser zeichnen sich aber dadurch aus, dass sie bereits ohne Mitwirkung des Menschen geschaffen sind.
Es besteht so eine Differenz zwischen natürlichen – wenn man so will: gottgeschaffenen – und sozialen, zwischen Menschen geteilten Gemeingütern. Diese Trennung ist in der bisherigen Gemeingüterforschung nicht gemacht worden.
Gemeingüter gelten heute als beliebiges Synonym für alles, was man gerne auch und möglichst umsonst hätte: bedingungsloses Grundeinkommen, kostenlose Bildung, freie Software, kostenlose Kinderbetreuung, Altersvorsorge und natürlich Gesundheit, saubere Luft und Gewässer, gesunde Bionahrung und Artenvielfalt.
Die GLS-Bank ist aber in ihrer Förderpraxis weitaus näher an echten Gemeingütern dran, indem sie selbst in die biologische Landwirtschaft investiert, so auch in alternative Saatgutforschung. Die Investition in einen Saatgutfonds könnte durchaus lohnenswert sein – allerdings nur, wenn dieses hochwertige Saatgut anschließend auch hochwertig vergütet wird.
Fazit: Die GLS-Bank redet nicht nur, sie tut auch etwas und entwickelt neue Kapitalmarktprodukte zur Finanzierung von Gemeingütern.
Jahrzehnte hielt man Fernsehen für ein zu schützendes Gemeingut. Das Ergebnis war werbefinanziertes, niveauloses Free TV.
Unter dem Titel Gemeingüter – Wohlstand
durch Teilen versammelt die deutsche Heinrich-Böll-Stiftung auf 52 Seiten jene Themen, die bereits in dem Sammelband Wem gehört die Welt? , der freundlicherweise selbst als kostenloser Download zur Verfügung gestellt wird, als Gemeingüteranliegen identifiziert wurden: Überfischung, Genpatente, Weltklima, lizenzpflichtige Software, kostenlose AIDS-Medikamente, öffentlicher Raum.
Im Mittelpunkt des Diskurses steht der Schutz der Gemeingüter vor ihrer Zerstörung durch „das Kapital“ bzw. durch private Schutzinteressen. Dieser Antagonismus ermöglicht eine Ausdehnung schutzbedürftiger Gemeingüter z.B. auf den Schutz vor Werbung: „Werbung stört und zerstört.“ , kann man auf Seite 35 lesen. Auch die Werbung der GLS-Bank für Gemeingüter?
Die Schutzbedürftigkeit als Grundeigenschaft der Gemeingüter führt dann logischerweise zur Frage der Schutzmethoden, wobei hier einerseits Gesetze und Verbote empfohlen werden, um Gemeingüter vor privaten Interessen zu schützen, umgekehrt Gesetze, etwa Urheber- und Patentgesetze aufgehoben werden sollen, um diese geistigen Güter zu Freeware zu deklarieren. Neben exotischen Schlagworten aus eingeweihten Aktivistenzirkeln wie „Gemeine Peer-Produktion“ findet sich in dem Papier nur ein empfohlenes Praxisbeispiel aus dem deutschsprachigen Raum: die Re-Kommunalisierung der Hamburger Stadtwerke.
In der Freien und Hansestadt Hamburg regiert die GAL mit, deren Mutterpartei Die Grünen Trägerin der Heinrich-Böll-Stiftung ist. Da die Energieversorgung aber ein voll kostenpflichtiger Dienst ist, dessen Bezahlung von der grünen Regierung mit Gerichtsvollziehern betrieben wird, ist zumindest diskutabel, ob Strom wirklich zu den Gemeingütern zählt.
Für die Grünen zählt Strom als Gemeingut - 14 Milliarden Euro hat die rot-grüne Regierung in 7 Jahren für die Steinkohleverstromung ausgegeben
Sieben Jahre lang hat die rot-grüne Bundesregierung die deutsche Steinkohleverstromung mit 2 Milliarden Euro pro Jahr subventioniert, 14 Milliarden flossen insgesamt. Im gesamten Zeitraum hat die Heinrich-Böll-Stiftung endlose Konferenzen für regenerative Energien veranstaltet und Appelle zu deren Nutzung veröffentlicht.
Der Gemeingüterreport hinterläßt einen ähnlichen Eindruck: viele Schlagworte und Appelle, keine Beispiele für die praktische Umsetzung einer Gemeingüterwirtschaft in Deutschland.
Viel historisch wertvolle Geschichte des US-Commons-Diskurses, aber keine Anwendungen für Mitteleuropa. Fazit: Die Commons erscheinen so gross und unendlich, dass man selbst keinen Mitmachansatz mehr ausser der Unterzeichnung von Appellen findet.
Wer sich ein bißchen mit freiwilliger bzw. ehrenamtlicher Arbeit beschäftigt, wird sich vielleicht fragen, warum sich die langjährigen Marktführer in diesem Bereich, die beiden Kirchen bisher nicht zu den Gemeingütern gemeldet haben.
Sie tun es auch jetzt nicht: „Die Wirtschaft braucht neue Maßstäbe“ ist ihr 40-seitiger Report betitelt. Gemeingüter kommen darin nicht vor. Aber trotzdem: Anstatt ethische Sonntagspredigten zu halten, hat der Herausgeber, der Evangelische Entwicklungsdienst EED das Institut für Ökonomie und Ökumene mit der Darstellung des Forschungsstandes der Bewertung von Volkswirtschaften beauftragt. Deshalb findet sich darin auch die gesamte Diskussion um das Bruttosozialprodukt und die bisherige Bewertung volkswirtschaftlicher Leistung sowie ein ausgezeichnetes Literaturverzeichnis. Als einziges deutsches Beispiel dient ein Bild vom Kölner Karneval mit der Bildunterschrift „Welchen Wert hat Brauchtumspflege?“. Interessanterweise kommen die kostenlosen kirchlichen Gemeingüter selbst gar nicht vor. Schade. Und noch ein deutsches Foto findet sich in dem Report: das einer Demonstration gegen deutsche Kohlekraftwerke.
Fazit: Eine eher populärwissenschaftliche, erstklassige Einführung in die geforderte Miteinbeziehung von Glück, Lebenszufriedenheit und informeller Arbeit in die Bewertung einer Volkswirtschaft.
Vorschlag: Alle drei PDFs in den Ordner „Gemeingüter“ laden.
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