Mit Sozialkapital 1,7 Billionen Euro Staatsschulden tilgen?
Mit Sozialkapital Staatsschulden tilgen? Das klingt wie mit Monopoly-Spielgeld die Miete bezahlen zu wollen. Andererseits wird die Tilgung der Schulden des deutschen Bundes, der Länder und Gemeinden mit einer Gesamthöhe von 1,7 Billionen Euro in Deutschland gar nicht diskutiert. Dass dieser Betrag nicht zurückzahlbar ist und nur Inflation oder Währungsreform als Rettung in Frage kommen, gilt als gesichertes Allgemeinwissen.
Diese fatalistische Sichtweise erleichtert die ständige Ausweitung der Staatsverschuldung und rechtfertigt für alle Beteiligten die Verschwendung von Steuergeldern, im Ganovenjargon gerne Staatsknete genannt. Da zudem auch noch die Zinsen für deutsche Staatsanleihen auf einem historischen Tiefpunkt stehen, also zahlreiche Vermögens- und Pensionskassenverwalter diese anderen, riskanteren Anlageformen vorziehen, kann Deutschland im Schnitt pro Tag 1 Milliarde Euro neue Schulden machen. Da dies nicht als Neuverschuldung gilt, ist dieser Betrag in der Öffentlichkeit weitgehend unbekannt.
Da entdeckten wir beim Studium der jährlichen Steuerakten des deutschen Bundesministeriums für Finanzen Zahlen, die wir in folgende Tabelle brachten:
Vergleich der Entwicklung von Steuerarten in Prozent des Gesamtsteueraufkommens 1950 und 2009
Steuerart | Prozent der Gesamtsteuer 1950 | Prozent der Gesamtsteuer 2009 |
Unterschied in Prozent |
Umsatzsteuer | 21,7 | 33,77 | +64,25 |
Einkommensteuer | 9,89 | 5,04 | -49,4 |
Vermögensabgabe | 8,8 | 0 | -100 |
Lohnsteuer | 8,56 | 25,79 | +301 |
Körperschaftssteuer | 6,87 | 1,46 | -78,7 |
Grundsteuer | 5,45 | 2,08 | -61,84 |
Gewerbesteuer | 4,94 | 6,18 | +25,1 |
Total (in Mrd. Euro) | 10.783 | 524.001 |
Quelle: Bundesministerium der Finanzen, Tabellen 1950-1953 und 2006-2009
Für den Sozialkapitalforscher ist diese Tabelle äußerst aussagekräftig. 1950, fünf Jahre nach dem Ende des II. Weltkriegs, der 15 Millionen Flüchtlinge in die Bundesrepublik brachte, gab es noch kaum Vermögen und Wohlstand in Deutschland. Die Unternehmen begannen mit Schrotthandel und Hinterhofbasteleien, Kohle war der einzig verfügbare Rohstoff. Selbst Holz war knapp und teuer. Bayern, heute das reichste Bundesland, erhielt im Länderfinanzausgleich vom reichen Nordrhein-Westfalen 17 Millionen Mark.
Dennoch stammten 37 Prozent der Steuereinnahmen von Unternehmen und Besitzenden. Die Arbeitnehmer trugen nur mit 8,56 Prozent durch ihre Lohnsteuer zum Staatshaushalt bei. Finanzminister war damals Fritz Schäffer von der CSU. Seine oberbayerische Heimat beherbergt heute mehrere der reichsten Landkreise Deutschlands. Offensichtlich muss es damals in der Regierung vom Alten, wie Konrad Adenauer genannt wurde, eine realistische Vorstellung davon geg
eben haben, wie ein Staat nach dem Crash wieder hochkommt, indem er eine Soziale Marktwirtschaft kreiert, die künftigen Crashs widerstehen kann.
Der Beitrag, den Unternehmen und Wohlhabende zum Staatshaushalt leisten, ist unter SPD, Grünen und FDP-Regierungen auf 14 Prozent der Steuereinnahmen gesunken.
Wir haben für den SPIEGEL einmal ein paar weitere Zahlen zusammengestellt:
Die Zahlen bedürfen eigentlich keines besonderen Kommentares. Sie sprechen für sich. Was aber hat das Ganze nun mit Sozialkapital zu tun? In einem demokratischen Staat verwaltet der Staat im Auftrag der Bürger die öffentlichen Mittel. Jedes Jahr kritisiert der Bund der Steuerzahler die eine oder andere verschwendete Milliarde. Da alle Regierungen von den Bürgern gewählt wurden, haben damit auch die Bürger mehrheitlich die Schuldenpolitik gebilligt.
Allerdings hätten sie in Wahlen keine Alternative gehabt, da es in der Schuldenpolitik nie eine Opposition gab. Die Staatsverschuldung ist im Konsens gestiegen.
Aber welchen Vorteil haben die Bürger von 30 Jahren steigender Staatsschuld gehabt? Auch das haben wir errechnet:
Es fehlt nun nur noch der Konsens zur Entschuldung. Eine Internet-Umfrage von T-Online mit 2000 Teilnehmern ergab eine grosse Mehrheit für unseren Vorschlag, die Staatsschuld über eine 20 prozentige Vermögensabgabe zu tilgen. Obwohl die Regierung Adenauer ein derartiges Steuersystem länger als ein Jahrzehnt ohne Steuerflucht und Volksaufstände praktiziert hat – und damit sogar die Kriegsschulden der Deutschen tilgen konnte, hielt es Sven Lorig, der Moderator des ARD-Morgenmagazins für ausgeschlossen, dass Politiker eine Vermögensabgabe beschliessen könnten:
Sozialkapital – das ist in diesem Fall die Fähigkeit, einen sozialen Zusammenhang zwischen der Entstehung der Schulden und ihrer Tilgung zu sehen, diesen aufzuzeigen und in eine Tilgungsinitiative einzutreten. Die Veröffentlichung der Zahlen ist ein erster Schritt dazu. Den nächsten Schritt müssen die Deutschen selbst gehen, wenn sie Schweizer Verhältnisse haben möchten, wie sie das ARD-Morgenmagazin in seinem Einspielfilm als heile Welt vorführte. Dabei haben auch der Schweizer Bund, die Kantone und Gemeinden Schulden.
Kritik und Disskussion des Vorschlages finden sich nach bisherigem Wissensstand in folgenden Blogs und Foren:
SPIEGEL-Forum
T-Online Forum
Das Gelbe Forum
Egon W. Kreutzer
alt-shift-x.de
Nachdem wir die Berechnung auch für die Republik Österreich gemacht haben, ist dort
die bisher umfangreichste Diskussion ausgebrochen:
Kommentare deaktiviert für Mit Sozialkapital 1,7 Billionen Euro Staatsschulden tilgen?
admin am 25. September 2010 in Allgemein